Romanische Palatalisierung

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Als romanische Palatalisierung werden mehrere, zum Großteil bereits im Latein der Antike ihren Ausgang nehmende Lautwandel bezeichnet, bei denen die Artikulationsstelle der Laute /k/, /g/, /t/, /d/, /l/, /n/ sich vor vorderen Vokalen und Halbvokalen vom Gaumensegel beziehungsweise von den Zähnen zum harten Gaumen hin verschob. Mitgemeint ist gewöhnlich auch die darauffolgende Ausbildung eines Zischlauts (Assibilation) unmittelbar nach den betroffenen Verschlusslauten, sodass die Affrikaten /ʧ/, /ʦ/, /ʤ/, /ʣ/ entstanden, die dann wiederum in manchen romanischen Dialekten zu den reinen Reibelauten /ʃ/, /s/, /θ/, /ʒ/, /z/ vereinfacht wurden.[1]

Palatalisierung des Lateralen

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Die Lautfolge li̯ wandelt sich gemeinromanisch zur in Mittel- und Süditalien bis heute erhaltenen Geminaten [ʎʎ]. In den meisten Dialekten wird diese zu ​[⁠ʎ⁠]​ vereinfacht und entwickelt sich dann zum Teil sprachspezifisch weiter: Im Spanischen fällt der Laut mit dem durch g/j dargestellten ​/⁠ʒ⁠/​>/x/ zusammen, im Neufranzösischen neigt er zum vollständigen Schwund; das sardische Ergebnis lautet ​[⁠ʣ⁠]​. Beispiel: Lat. filia ‚Tochter‘> ital. figlia, span. hija, franz. fille, sard. fidza.[1]

In Mittelitalien wird bei den Lautverbindungen bl, pl, fl, cl, gl der ursprüngliche Lateral vor a, e, o, u zum palatalen Halbvokal gehoben:[2] stabulum ‚Stall‘ > *stablum > stabbio, plenum ‚voll‘ > pieno, florem ‚Blume‘ > fiore, clarum ‚hell, klar‘ > chiaro, glaciatum ‚gefroren‘ > ghiacciato.

Das Iberoromanische palatalisiert im Wortanfange cl, fl, pl zu ​[⁠ʎ⁠]​ oder ​[⁠ʃ⁠]​: lat. clamare ‚(laut) rufen‘ > span. llamar, port. chamar; lat. flamma ‚Flamme‘ > span. llama, port. chama; lat. plenum ‚voll‘ > span. lleno, port. cheio.[3]

Palatalisierung und Assibilierung lateinischer Verschlusslaute

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Im Spätlatein entwickelten sich die durch t und c bezeichneten Laute zunächst vor halbvokalischem (< prävokalischem ǐ/ĕ) von reinen Okklusiven zu dentalen bzw. palatalen Affrikaten. Ab dem 5. Jahrhundert ist eine entsprechende Assibilierung von c vor jedem e/i durch Schreibungen wie intcitamento statt incitamento oder dissessit statt discessit belegt. War im Rumänischen, Rätoromanischen, Normannischen, Picardischen und in weiten Teilen Italiens das Ergebnis dieses Lautwandels /ʧ/, so lautete es auf der Iberischen Halbinsel, Oberitalien und dem größten Teil der Galloromaniae /ʦ/; diese Affrikaten wurden im Laufe der Zeit in vielen Gegenden allgemein zu /s/, /θ/, /ʃ/ vereinfacht. Unterblieben ist die Assibilierung von c im Dalmatischen (aber nur vor e, vor i erfolgt sie auch dort) und den nördlichen Dialekten des Sardischen.[2]

Nach ähnlichem Muster werden gi̯/di̯ und zum Teil auch (i̯)i̯ sowie g vor e/i (sofern es nicht geschwunden ist, wie etwa in it./aprov./kat. trenta, lat. trienta < triginta) zu /ʤ/, /ʣ/ und dann in manchen Gebieten weiter zu /ʒ/, /z/, /x/;[2] dabei stimmt die Artikulationsstelle zwischen stimmloser und stimmhafter Affrikate nicht immer überein, vgl. lat. centu(m) /kɛntʊ/ > afrz. cent /ʦã(n)t/ > nfrz. /sɑ̃/[1] neben lat. gentes /gɛnteːs/ > afrz. gents /ʤã(n)ʦ/ > nfrz. gens /ʒɑ̃/.

Diese Lautwandel haben sich auch außerhalb des romanischen Sprachgebiets in der Aussprache des Lateins als Sprache von Kirche, Schule und Wissenschaft sowie in Entlehnungen daraus niedergeschlagen, weitgehend zum Beispiel im Englischen, in Bezug auf ce/ci (Ceres, Cisleithanien) und ti̯ (Station, Potential) auch im deutschen Sprachraum, kaum dagegen etwa im mittelalterlichen Irland.[2] Die sich aus den beiden Lautwandelkomplexen unter Beibehaltung der lateinischen Schreibgewohnheiten ergebende Aussprache der Buchstaben c und g vor Vokal wird gelegentlich in sprachspezifischer Lautschrift durch die Reihen ka – ce/ze – ci/zi – ko – ku (sogenannte Ka-ze-zi-ko-ku-Regel)[4] bzw. ga – je/xe – ji/xi – go – gu wiedergegeben[5][6][7] oder in einen Merkspruch folgender Art gefasst: „ K nach a, o, u sprich [ka] [ko] [ku] , k vor e und i sprich [tse] und [tsi].“[8]

Die Palatalisierung von c und g tritt nicht nur vor ursprünglichem e/i ein, sondern auch vor den ehemaligen, schriftlich in beschränktem Maße erhaltenen Diphthong ae (Caesar) und oe (tragoedia) sowie vor wahrscheinlich ebenfalls schon frühzeitig zu /i/ entrundetem y[2] in griechischen Lehnwörtern (Cyprus, gyrus > ital. giro).

Die Palatalisierung fand unterschiedliche Ausprägungen in den verschiedenen Sprachen. Da auch Fremdwörter aus dem Lateinischen in nicht-romanischen Sprachen jeweils eigenen Regeln folgen, werden diese hier ebenfalls beispielhaft aufgelistet.

C
(palatalisiert)
G
(palatalisiert)
T
(palatalisiert)
Sprache Notation Aussprache Notation Aussprache Notation Aussprache
Italienisch c [ʧ] g [ʤ] z [ʦ]
Französisch c [s] g [ʒ] t [s]
Spanisch c [θ] / [s][A 1] g [x] c [θ] / [s][A 1]
Portugiesisch c [s] g [ʒ] ç [s]
Katalanisch c [s] g [ʒ] t [t]
Rumänisch c [ʧ] g [ʤ] ț [ʦ]
Englisch c [s] g [ʤ] t [ʃ]
Schwedisch c [s] g [j] t [ɧ]
Deutsch z [ʦ] g [g][A 2] t [ʦ]
Anmerkungen
  1. a b vgl. Seseo.
  2. g wird im Deutschen nicht palatalisiert

Kennzeichnung von Ausnahmen

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Da durch die romanische Palatalisierung die Orthographien der romanischen Sprachen die gleichen Grapheme für unterschiedliche Phone benutzen, entstehen Probleme bei der Notation von Wörtern, die /c/ und /g/ vor Hinterzungenvokalen palatalisieren bzw. vor Vorderzungenvokalen nicht palatalisieren, also von der Regel abweichen. Dies können schlicht Ausnahmen oder nach der Palatalisierung aufgenommene Fremdwörter sein. In den romanischen Sprachen gibt es verschiedene, in der Strategie aber vergleichbare Methoden, von der Regel abweichende Aussprachen zu kennzeichnen. Um vor hinteren Vokalen den Frikativlaut zu erzwingen, kann beispielsweise die Cedille Anwendung finden, und oft wird ein vorderer Vokal zwischengestellt, der nur Kennzeichnungsfunktion hat und selbst nicht ausgesprochen wird. Auffällig ist in der folgenden Tabelle, dass die spanische und die italienische Sprache dieselbe Konstruktion, nämlich das zwischengestellte h, für genau entgegengesetzte Zwecke einfügen:

Ziellaut Portugiesisch Spanisch Katalanisch Französisch Italienisch Rumänisch
Beschreibung IPA
c vor a palatalisiert [sa]
[t͡sa]
[ʃa]
[t͡ʃa]
[θa]
ça
tsa
cha, xa
tcha
sa
tsa

cha
za
ça
tsa
xa
txa
ça
tsa
cha
tcha
sa
za
scia
cia
sa
ța
șa
cea, cia
c vor e nicht palatalisiert [ke] que que que que che che
c vor i nicht palatalisiert [ki] qui qui qui qui chi chi
c vor o palatalisiert [so]
[t͡so]
[ʃo]
[t͡ʃo]
[θo]
ço
tso
cho, xo
tcho
so
tso

cho
zo
ço
tso
xo
txo
ço
tso
cho
tcho
so
zo
scio
cio
so
țo
șo
ceo, cio
c vor u palatalisiert [su]
[t͡su]
[ʃu]
[t͡ʃu]
[θu]
çu
tsu
chu, xu
tchu
su
tsu

chu
zu
çu
tsu
xu
txu
çou
tsou
chou
tchou
su
zu
sciu
ciu
su
țu
șu
ceu, ciu
g vor a palatalisiert [χa]
[ʒa]
[d͡ʒa]

ja
dja
ja
[D 1]

ja
tja

ja
dja


gia
[D 2]
ja
dja, gea
g vor e nicht palatalisiert [ge] gue gue gue gue ghe ghe
g vor i nicht palatalisiert [gi] gui gui gui gui ghi ghi
g vor o palatalisiert [χo]
[ʒo]
[d͡ʒo]

jo
djo
jo

[D 1]

jo
tjo

jo
djo


gio
[D 2]
jo
djo, geo
g vor u palatalisiert [χu]
[ʒu]
[d͡ʒu]

ju
dju
ju

[D 1]

ju
tju

jou
djou


giu
[D 2]
ju
dju, geu
Anmerkungen
  1. a b c Im kanarischen und südamerikanischen Spanisch können y oder ll diesen Lautwert annehmen, siehe Yeísmo.
  2. a b c Das h kann vom eigentlichen Lautwert [h] nah an das [χ] herankommen.

Die Aussprache im Auslaut

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Am Wortende ist die Aussprache der Buchstaben c und g nicht einheitlich in den romanischen Sprachen. Zumeist ist die lateinische Lösung erhalten geblieben, nämlich der Auslautklang wie vor einem hinteren Vokal (a, o, u):

  • Latein sic [sɪk] „so“,
  • Katalanisch Montjuïc [munʒu'ik], ein Berg bei Barcelona,
  • Rumänisch vă rog [vɘ'rog] „bitte“.

Aber es gibt Ausnahmen von dieser Regel:

  • Katalanisch Puig [put͡ʃ], ein Familienname.
  • Italienisch zarevic [t͡sa'rɛvit͡ʃ] „Zarewitsch, Sohn des Zaren“
  • Italienisch Clodig ['klodid͡ʒ], ein Ortsname.

Vergleichende Tabelle

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C Deutsch Italienisch Französisch Spanisch
Latein Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache
centrum Zentrum [ˈʦɛntʀʊm] centro [ˈʧɛntro] centre [sɑ̃ːtʀ] centro [ˈθen̪tɾo] / [ˈsen̪tɾo][C 1]
occidens Okzident [ˈɔkʦidɛnt] occidente [otʧiˈdɛnte] occident [ɔksidɑ̃] occidente [okθiˈðente] / [oksiˈðente][C 1]
G Deutsch Italienisch Französisch Spanisch
Latein Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache
genus Genus [ˈɡɛnʊs] genere [ˈʤɛnere] genre [ʒɑ̃ʁ] género [ˈxeneɾo ]
regio Region [ʀeˈɡi̯oːn] regione [re'ʤone] région [ʁeʒjɔ̃] región [reˈxjon]
T Deutsch Italienisch Französisch Spanisch
Latein Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache Orthographie Aussprache
optio Option [ɔpˈʦi̯oːn] opzione [op'ʦjone] option [ɔp.sjɔ̃] opción [opˈθjon] / [opˈsjon][C 1]
Anmerkungen
  1. a b c vgl. Seseo.

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. a b c Reinhard Kiesler, Einführung in die Problematik des Vulgärlateins, Tübingen 2006, p. 46.
  2. a b c d e Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters. Dritter Band: Lautlehre, München 1996, ISBN 3 406 40362 X, § 240.2 (a); §§ 151/156 (b); §§ 167/173/175 (c); § 152 (d); § 61 (e).
  3. Theo Vennemann, Structural complexity of consonant clusters: A phonologist’s view, in: Philip Hole (Hrsg.) et al., Consonant Clusters and Structural Complexity, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-1-61451-076-5, e-ISBN 978-1-61451-077-2, ISSN 1861-4167, p. 18.
  4. Ángel Herrero: Escuela española de sordomudos, 2008, S. 344
  5. Etwas in Sachen des Buchstaben C, in: Hannoverisches Magazin, 11tes Stück, Freytag, den 6ten Februar 1778, p. 165.
  6. Francisco Gabriel Malo de Medina, Guia del niño instruido, y padre educado, cartilla y caton para todas artes, Madrid 1787, p. 15f.
  7. John B. Ricord Madianna, An Improved French Grammar, New-York 1812, p. 5.
  8. Vgl. Google-Buchsuche.